Zechenpark Friedrich Heinrich Kamp-Lintfort

Der westlichste Ankerpunkt der Route

Sie ist der einzige Ankerpunkt westlich des Rheins und setzte als "Versuchszeche" schon in den 1950er-Jahren Zeichen: Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort gilt als industriekultureller Kristallisationspunkt am linken Niederrhein und stellte ihr unternehmerisches Selbstbewusstsein nicht nur durch immer höhere Förderkapazitäten heraus. Auch optisch wollte sich das Bergwerk von anderen Anlagen abheben: durch rundbogige Blendfenster und repräsentative Fassaden, vor allem aber durch eine von Platanen gesäumte Prachtstraße, die Friedrich-Heinrich-Allee, die die Betriebsgebäude im barockisierenden Stil von Direktorenvillen, Verwaltung und Kasino trennt. All das war und ist Sinnbild für wirtschaftlichen Erfolg, Innovationen und sogar einen Weltrekord.

 

Starker Verein im Hintergrund

Im Schirrhof hat seit Ende 2020 die 1987 gegründete Fördergemeinschaft für Bergmannstradition Linker Niederrhein ihren Sitz. Als authentischer Vermittler der Geschichte des Ortes gestaltet der Verein das Programm am Haus des Bergmanns, im Lehrstollen und am Förderturm. Der Bereich der ehemaligen Ausbildung wird darüber hinaus zu einem Zentrum für Bergbautradition ausgebaut.

www.bergmannstradition.de

Schacht 1 und 2 der Zeche Friedrich Heinrich um 1913.
Schacht 1 und 2 der Zeche Friedrich Heinrich um 1913. © Fördergemeinschaft für Bergmannstradition Linker Niederrhein

Weltrekord in der Tagesförderung

Das Bergwerk Friedrich Heinrich war die dritte große Zechengründung auf linksrheinischer Seite. 1906 hatte eine französische Bankengruppe das Abbaugebiet von den Erben des Industriellen Friedrich Heinrich Freiherr von Diergardt erworben, um sich verkokbare Vorkommen für die heimischen Eisenhütten zu sichern. Ab 1907 entstand eine im Ruhrbergbau bis dato einzigartig großzügig und repräsentativ gestaltete Doppelschachtanlage mit Kokerei. 1924 übernahm der Konzern De Wendel aus Lothringen die Zeche. 1970 endete das französische Engagement mit der Eingliederung von Friedrich Heinrich in die Ruhrkohle AG. Doch die Kamp-Lintforter Zeche war nicht nur schön: Bereits im August 1958 schaffte Friedrich Heinrich als erste Zeche im Ruhrbergbau den vollständig mechanisierten Abbau. In den 1980er-Jahren ging der erste Steuerstand der RAG über Tage in Betrieb. Und 1997 wurde im Flöz Girondelle 5 weltweit erstmals in über 1000 Metern Tiefe ein 430 Meter langer Streb förderfertig hergerichtet. Mit 20.262 Tonnen verwertbarer Tagesförderung erzielte die Mannschaft hier im März 1998 einen Weltrekord.

Entscheidend für die Region

2002 wurden die Schachtanlagen Friedrich Heinrich/Rheinland und Niederberg zum Bergwerk West zusammengeschlossen. Ein Arrangement von kurzer Dauer: Am 31. Dezember 2012 endete mit Stilllegung des Bergwerks West der Bergbau am Niederrhein. In gut 100 Jahren wurden auf Friedrich Heinrich weit über 200 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert; allein 1993 ganze 4,17 Millionen Tonnen.

Seit März 2021 ist Friedrich Heinrich 27. Ankerpunkt der Route - und als solcher exzellentes Beispiel für die frühe Mechanisierung eines Untertagebetriebes. Zugleich illustriert die Zechengeschichte die Bedeutung des Bergbaus für die niederrheinische Region mit ihren ländlichen Gemeinden, explizit für die Entwicklung der Stadt Kamp-Lintfort, die Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht existierte. Am Beispiel Friedrich Heinrichs lässt sich die Struktur eines "Reviers der großen Dörfer" eindrücklich nachvollziehen.

Alt-Siedlung Friedrich Heinrich

Förderturm und Fördergerüst von Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort.
Förderturm und Fördergerüst von Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort. © RIK/Staudinger

Hochschulstandort und LAGA 2020

Seit der Schließung hat Friedrich Heinrich eine enorme Veränderung erfahren. Deren vorläufiger Höhepunkt - die Landesgartenschau (LaGa) 2020 - markierte dabei zugleich den Auftakt für ein umfassendes Tourismus-Konzept, das sich explizit den Themen Bergbau und Industriekultur widmet. Der zur LaGa geschaffene Zechenpark mitsamt Kalisto Tierpark bildet als grüner Freizeitort dabei den zentralen Kern. Der Schirrhof, in dem einst die Wagen und Pferde der Zeche untergebracht waren, soll seit 2021 als "Dritter Ort" über ein niedrigschwelliges Angebot Begegnungen generieren, Vereine vernetzen und Kunst und Kultur fördern. Und auch jenseits des touristischen Angebotes setzt Friedrich Heinrich Zeichen in Sachen Zukunft: Bereits 2014 eröffnete die Hochschule Rhein-Waal einen Campus auf dem Gelände.

Die Zeche Friedrich Heinrich ist Standort folgender Themenrouten:

Tipps für Ihren Besuch

Stadt und Bergbau sind Themen im gleichnamigen Infozentrum auf Friedrich Heinrich.

Infozentrum Stadt & Bergbau

Das Infozentrum Stadt und Bergbau im ehemaligen Pumpenhaus fungiert gleichermaßen als Museum und Touristinformation. Hier ist Infomaterial erhältlich und können Führungen gebucht werden. Eine interaktive, barrierefreie Ausstellung widmet sich zudem der Geschichte Kamp-Lintforts und des Bergwerks und wirft einen Blick auf die weitere Entwicklung von Stadt und Zechengelände. Die perfekte Ergänzung: eine E-Bike-Station mit Verleih und eigener Werkstatt.

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Blick in den Küchenbereich: Das Haus des Bergmanns liefert einen authentischen Einblick in das Leben in der Kolonie in den 1920er-Jahren.

Haus des Bergmanns

In der Nähe der Alt-Siedlung Friedrich Heinrich unterhält die Fördergemeinschaft für Bergmannstradition das Haus des Bergmanns. Das detailgetreu eingerichtete Museum spiegelt anschaulich die Wohnverhältnisse einer Bergarbeiterfamilie in den 1920er-/1930er-Jahren wider. Ein zweiter Ausstellungsteil widmet sich technischen Gerätschaften und der Geschichte des Bergwerks; im Keller wurde eine unterirdische Strecke nachgebaut.

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Förderturm und Fördergerüst von Friedrich Heinrich im Winter 2021.

Förderturm

Für viele Bewohner Kamp-Lintforts ist er das Wahrzeichen der Stadt: der Förderturm von Schacht 1. Stolze 80 Meter hoch erhebt er sich über das Zechengelände und stellt dabei selbst das Strebengerüst von Schacht 2 in den Schatten. Eine Fahrt auf die Aussichtsplattform garantiert Besuchern einen fantastischen Blick über den Niederrhein und das ehemalige Bergwerk Friedrich Heinrich. Turm und Fördergerüst wurden 2019 mit Mitteln des Landes und der RAG umfassend saniert.

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Authentische Untertage-Erfahrungen versprechen der Lehrstollen und Führungen mit ehemaligen Kumpeln.

Lehrstollen

Ganze drei Meter unter Geländeniveau verbirgt sich auf Friedrich Heinrich ein besonderes Stück Bergbaugeschichte: der Lehrstollen. Auf mehr als 2.500 Metern Grundfläche bietet er Besuchern einen Einblick in die Arbeitsbedingungen unter Tage. Alle ausgestellten Betriebsmittel sind nach wie vor funktionsfähig. In jeweils gut einstündigen Führungen gilt es, unter anderem die Einschienen-Hängebahn, das Schienenfahrrad, die Grubenwehr, Strebe, Förderer und den Schildausbau zu erkunden.

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Zeche Friedrich Heinrich Kamp-Lintfort

tourismus@kamp-lintfort.de
+49 (2842) 9030871
Friedrich-Heinrich-Allee 81, 47475 Kamp-Lintfort

Landesgartenschau 2020 - ein Zechenpark für die Stadt

Zentraler Dreh- und Angelpunkt der LaGa 2020: der Zechenpark.
Zentraler Dreh- und Angelpunkt der LaGa 2020: der Zechenpark. © Melanie Heier

Neues touristisches Konzept

Rund 450.000 Gäste zählte die LaGa 2020 vom 5. Mai bis 25. Oktober auf Friedrich Heinrich. Zentraler Dreh- und Angelpunkt der Großveranstaltung unter dem Motto "Kloster, Kohle, Campus": der rund 25 Hektar große Zechenpark. Per Wandelweg wurde dieser mit dem Kloster Kamp verbunden; die Hochschule Rhein-Waal war als Kooperationspartner der ersten Stunde ebenfalls in das LaGa-Programm eingebunden. Die LaGa bildet die Basis für ein neues touristisches Gesamtkonzept, das insbesondere die Angebote aus dem Bereich Bergbau gezielt miteinander vernetzt. In den Fokus gestellt werden das Infozentrum Stadt und Bergbau, der Zechenpark, Lehrstollen, Schirrhof, das Haus des Bergmanns, der Förderturm sowie die Alt-Siedlung Friedrich Heinrich.

Zeche Friedrich Heinrich Kamp-Lintfort, 1913
Licht und Farben setzten den Zechenpark zur LaGa 2020 in Szene. © Stefan Büschken

Erlebnispädagogik: Kalisto Tierpark

Der Eingang zum Kalisto Tierpark.
Der Eingang zum Kalisto Tierpark. © Stadt Kamp-Lintfort/Reinert

Zoo mit Alpakas und Erdmännchen

Die Kombination ist ungewöhnlich, begeistert aber insbesondere die jüngsten Besucher von Friedrich Heinrich: Der Kalisto Tierpark, der sich an den Zechenpark anschließt, bereichert das Thema Industriekultur um einen "Kuschelfaktor" im wortwörtlichen Sinn. Hier haben neben Haustieren wie Ziegen, Ponys, Hühnern, Schafen und Kaninchen auch Alpakas und Erdmännchen ein Zuhause gefunden haben. Spannende Workshops, ein buntes Ferienprogramm, eigene Bildungsangebote für Kitas und Schulen sowie ein tiertherapeutisches Programm ergänzen das alltägliche Freizeitangebot des erlebnispädagogischen Zentrums. Das Erdmännchen war übrigens das Maskottchen der LaGa 2020 und unter anderem zentrales Thema eines Projektes des Rheinberger Künstlers Rainer Bonk.

www.kalisto-tierpark.de

Eine ungewöhnliche Kombination, die die Besucher begeistert: Zum Zechenpark auf Friedrich Heinrich gehört auch der Tierpark Kalisto.
Eine ungewöhnliche Kombination, die die Besucher begeistert: Zum Zechenpark auf Friedrich Heinrich gehört auch der Tierpark Kalisto. © Stadt Kamp-Lintfort/Reinert

Masterplan Bergwerk West

Logistikfläche und Wohnbebauung

Im Rahmen des Masterplans Bergwerk West realisieren die RAG Montan Immobilien und die Stadt Kamp-Lintfort auf Friedrich Heinrich auch umfangreiche Bauprojekte. Das Ziel: eine städtebaulich sinnvolle Folgenutzung und wirtschaftliche Perspektiven für die Region.

So wurde im Rahmen des Masterplans die ehemalige Kohlenlagerfläche zu einem modernen Logistikstandort weiterentwickelt. Drei Unternehmen haben auf dem rund 28 Hektar großen Gelände mittlerweile den Betrieb aufgenommen.

Und westlich der neuen Quartierspromenade entsteht nach Abschluss der LaGa nun das Wohnquartier "Friedrich Heinrich". Auf ihrer Homepage stellt die RAG Montan Immobilien das Gelände in zwei Videos vor.

Projekt "Bergwerk West" 

Menschen und Macher: Dr. Erwin Anderheggen

Dr. Erwin Anderheggen.
Dr. Erwin Anderheggen. © Fördergemeinschaft

Dr. Erwin Anderheggen

Er steht wie kein Zweiter für den Fortschritt auf Friedrich Heinrich: Bergwerksdirektor Dr. Erwin Anderheggen. 1909 in Köln geboren studierte er Bergbau an der Universität Freiburg und der Technischen Hochschule Berlin. Seine Karriere in Kamp-Lintfort begann 1939 als Direktions-Assistent; von 1941 bis 1948 war er Betriebsdirektor, von 1948 bis 1956 Werksdirektor der Zeche. Und auch nach Umwandlung des Betriebs in eine AG blieb er der Zeche Friedrich Heinrich verbunden: Bis 1969 arbeitete er als Technischer Direktor der Aktiengesellschaft; 1972 schied er aus dem Vorstand der Bergbau AG Niederrhein aus.

Anderheggen war maßgeblich an der technischen Entwicklung Friedrich Heinrichs - der "Zeche Beispiel" - beteiligt. Unter seiner Führung erfolgte etwa der Umbau von Schacht 1 im laufenden Betrieb. Zugleich machte er sich stets für den Zusammenhalt auf Friedrich Heinrich stark. Zur Eingliederung der Zeche in die Ruhrkohle AG ist folgendes Zitat von ihm überliefert: "Es wird schwer sein für uns alle, die für und auf Friedrich Heinrich gearbeitet haben, sich aus dieser stolzen Vergangenheit zu lösen und sich auf eine kühlere und unpersönlichere Organisation umzustellen." Anderheggen starb 1984 in Düsseldorf.