LVR-Industriemuseum digital
Von A wie Arbeitsjacke bis Z wie Zigaretten
Das LVR-Industriemuseum baut derzeit sein digitales Schaufenster der Museumssammlung aus: Schrille Klamotten, erfindungsreiche Recycling-Objekte, spannende Maschinen oder edles Design sind im Sammlungsportal auf der Homepage des Museums zu sehen und zeigen eine bunte Welt voller Geschichten. Über ein Recherchetool können User nach Schlagwörtern, Thema, Jahr, Ausstellung oder Sammlung suchen. Gerade während der coronabedingten Museumsschließung sind Angebote wie dieses genau das richtige Mittel, um die "Entzugserscheinungen" nach Industriekultur zu lindern.
Digitale Industriekultur
LVR-Industriemuseum: Sammlung online
Deutsches Bergbau-Museum Bochum: Sketchfab
LWL-Industriemuseum: Dampfmaschinenspiel
Binnenschifffahrtsmuseum: 360-Grad-Rundgang
Landschaftspark Duisburg-Nord: Rundweg
Villa Hügel: 2 x Kippenberger
Zollverein: Museum virtuell (kostenpflichtig)
Das digitale Museum: ein Thema der Zukunft
Regina Weber, wissenschaftliche Referentin, managt im LVR-Industriemuseum das digitale Sammlungsportal, für das sie auch selbst Texte beisteuert. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind Forschungen zu Sammlungsbeständen des Industriemuseums und im Rahmen des Netzwerks Kulturelles Erbe des LVR die Koordination von Restaurierungsprojekten für das Rote Haus Monschau. Vor Beginn ihrer Museumslaufbahn studierte Regina Weber Wissenschafts- und Technikgeschichte und Kunstwissenschaft an der TU Berlin. Wir haben mit ihr über das Sammlungsportal und die Bedeutung digitaler Angebote gesprochen.
Frau Weber, wie viele und welche Ausstellungsstücke sind bei Ihnen online zu sehen?
Wir haben derzeit 257 Sammlungsstücke auf unserem Sammlungsportal. Das sind etwa 0,1 Prozent der gesamten Sammlung des LVR-Industriemuseums. Zu sehen sind Objekte aus verschiedenen Sammlungsbereichen wie die Alltagskultur, Fotografien, Metallwaren und Maschinen, Papier, Textilien und bald auch Objekte der Sammlung des Deutschen Kunststoff-Museums-Vereins, die im Depot des LVR-Industriemuseums in Verwahrung sind. Wir zeigen sehr unterschiedliche Dinge aus unterschiedlichen Zusammenhängen: vom Luxuskleid über Geldattrappen aus China bis zum Reaktordeckelsegment. Diese Sammlungsstücke haben nichts gemeinsam, doch jedes für sich erzählt eine eigene Geschichte.
Mit dem Aufbau einer solchen Online-Sammlung sind viele unterschiedliche Arbeiten verbunden. Welche sind das?
Mit der Recherche fängt alles an. Wenn das Objekt im Depot schlummert, muss es in unserer Datenbank unter etwa 300.000 anderen Objekten recherchiert werden. Hat es kein geeignetes internettaugliches Foto, wird es "ausgehoben", d.h. der Depotverwalter sucht es heraus, und es wird zum Fotografen des Museums gebracht. Manche Objekte des Industriemuseums kann man kaum bewegen, dann kommt der Fotograf mit seiner ganzen Ausrüstung zum Objekt.
Die Museumswissenschaftler/innen schreiben dazu die Texte. Der jeweilige Text und das bearbeitete Foto kommen dann zu mir in die Redaktion, danach in die Kommunikationsabteilung, um dann veröffentlicht zu werden. Bis so eine Objektgeschichte auf der Website zu lesen ist, waren allein in unserem Museum sieben Mitarbeiter/innen beteiligt.
Wie lange dauert es, bis ein Objekt online zu sehen ist?
Das ist schwer zu beantworten. Es gibt viele Unwägbarkeiten, vor allem, wenn neu fotografiert werden muss. Manche Ausstellungsstücke befinden sich an anderen Standorten, wir sind ja ein dezentrales Museum. Vielleicht kann das Objekt wegen der Spiegelung nicht fotografiert werden, und die Vitrine ist nur mit Hilfe der Ausstellungstechniker zu öffnen. Oder ein Objekt ist in einer Wanderausstellung oder eingelagert in Transportkisten. Manchmal geht es aber auch sehr schnell, wenn das Foto schon gemacht wurde und die Autor/innen gleich nach einer Ausstellung den Text liefern.
Werden auch Objekte gezeigt, die man sonst in der Dauerausstellung nicht sieht?
Die meisten Objekte des Sammlungsportals sind nicht in den Dauerausstellungen. Das ist das große Plus von "Sammlung Online". Hier können wir Objekte dauerhaft zeigen, die ansonsten über Jahre im Depot liegen und wir können damit Wissen vermitteln, das man in einem knapperen Ausstellungstext in dieser Form nicht weitergeben könnte. Die Besucher/innen der "Sammlung Online"-Seite können sich alles bequem von zu Hause aus oder unterwegs durchlesen, stöbern und auf anderen Internetseiten weiter recherchieren.
Nach welchen Kriterien wählen Sie die online präsentierten Objekte aus?
Mit Ausnahme der Sammlungsstücke des Deutschen Kunststoff-Museums-Vereins sollen alle online präsentierten Objekte im Besitz des LVR-Industriemuseums und damit dauerhaft in der Sammlung ansässig sein. Die meisten Texte gehen aus Sonderausstellungen hervor. Die Kuratorinnen und Kuratoren beschäftigen sich dann intensiv mit den Objekten, entdecken Neues in der Museumssammlung und finden ihre Lieblingsstücke. Dabei spielt Ästhetik eine Rolle wie bei den Charlestonkleidern oder Originalität wie bei dem Laufrad mit Propeller, eine enge Verbindung zur Museumsgeschichte wie die Fotografie "Belegschaft vor dem Oelchenshammer" oder dass etwas heute nahezu unbekannt ist. Oder wissen Sie, was ein "Cul de Paris" ist?
Ist die digitale Sammlung eine Corona-Notlösung oder bleibt die Online-Sammlung bestehen?
2010 hat das Sammlungsportal mit einigen wenigen Objektgeschichten begonnen. Ausschlaggebend war eine Buchveröffentlichung "Arbeitsjacke und Zinkengel“. Die Texte wurden für das Sammlungsportal im Internet aufbereitet. Nur wenige Museen hatten in dieser Zeit ihre Sammlung im Web präsentiert. Das LVR-Industriemuseum war da schon ein Vorreiter. 2020 haben wir dann alle Texte überarbeitet und die Suchfunktionen eingebaut. Das ist ein wesentlicher Gewinn für unsere Besucher/innen. Bisher gibt es kaum Museen in Deutschland, die ein solches Konzept, Objektgeschichten zu erzählen, verfolgen.
Digitalisierung scheint für Museen ein Thema der Zukunft zu sein.
Digitalisierung ist schon lange ein elementares Thema in der Gesellschaft und für Museen. Museen reagieren darauf. Digitale Angebote sind ein wichtiger Teil der Kommunikation und Interaktion mit den Besuchern. Museen bieten einerseits digitale Angebote vor Ort als Teil der Vermittlung analoger Objekte, andererseits gibt es die Medien im Netz wie Videofilme, Social Media, Workshops, Online-Führungen usw. Corona hat das kreative digitale Potenzial der Museen noch befördert. Und ich habe den Eindruck, einige Angebote werden sehr gut angenommen. Dass beispielsweise Online-Workshops in manchen Häusern ausgebucht sind, hat mich überrascht. Für Workshops, Führungen und den Museumsbesuch gilt jedoch: Für das Erlebnis im Museum gibt es keinen digitalen Ersatz.
Nichtsdestotrotz kommt man schon heute nicht mehr drumherum.
Genauso ist es. Aber es gibt in vielen Museen noch Luft nach oben. Auch bei uns. Ideen sind da. Leider können nicht alle Museen mithalten. Heimat- und einige Spezialmuseen haben es oft schwer, kleine Stadtmuseen werden häufig auf der Homepage der jeweiligen Stadt aufgeführt ohne Spielraum für interaktive Angebote oder Darstellung ihrer wunderbaren Sammlung. An dieser Stelle ist die Politik gefragt. Für die Digitalisierung braucht man nicht nur bessere Technik und Infrastruktur, sondern auch mehr und qualifiziertes Personal.
Kommen wir zurück zur Online-Sammlung des LVR-Industriemuseums. Wächst die Sammlung noch?
Das Sammlungsportal wird sukzessive ausgebaut. Es ist das Schaufenster unserer Sammlung und hat eine ganz eigene Qualität: mit Wissen angereicherte Museumsdinge. Erst dadurch erhalten Objekte ihren ideellen Wert und vielleicht eine "Seele". Nehmen wir die Baggerschaufel aus dem Braunkohletagebau Hambach. Jeder hat eine Vorstellung von den Braunkohlenrevieren im Westen Deutschlands, die zu den größten der Welt gehören. Ohne das Wissen um ihre Herkunft, wäre die Baggerschaufel "Schrott". Die "Butterecke“ von Joseph Beuys wurde ja auch schon einmal weggewischt, weil die Reinigungskraft nicht um ihre Bedeutung wusste. Schön ist, dass uns Besucher/innen von "Sammlung Online" Informationen direkt zu Objekten zukommen lassen. Allein deshalb lohnt es sich, die Seite weiter auszubauen. Mittlerweile präsentieren viele Museen ihre Sammlungen dokumentarisch. Mehr oder minder aus der Sammlungsdatenbank generiert. Auch daran arbeiten wir.
Sammlungsportal
LVR-Industriemuseum St. Antony-Hütte
LVR-Industriemuseum Zinkfabrik Altenberg