Bahnhof Langendreer

Audioreise durch Geschichte und Gegenwart

Im Herbst 1983 verließ der letzte Zug den Bahnhof Langendreer in Bochum - jetzt heißt es erstmals wieder "Einsteigen bitte". Allerdings nicht in einen Zug - laufen müssen die Passagiere schon selbst. Der Bahnhof Langendreer, seit 35 Jahren soziokulturelles Zentrum, hat einen Audiowalk konzipiert, aufgenommen und veröffentlicht. Man höre und staune: Erzählt werden persönliche Geschichten, aber auch Stadtteilgeschichte und Zeitgeschichte – alles überschneidet und überlagert sich hier an diesem Ort. Warum also von diesem Bahnhof aus nicht wieder mal eine Reise beginnen?

Zwischen gestern und heute

Das Eisenbahnzeitalter begann in Langendreer 1860 mit Eröffnung des ersten Bahnhofs durch die Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft an ihrer Strecke von Witten nach Bochum. Heute ist der Bahnhof Langendreer eines der ältesten soziokulturellen Zentren in Nordrhein-Westfalen. Es gibt Live-Musik, politisches Kabarett und Comedy, Theater, Lesungen und mehr.

Bahnhof Langendreer

Eindrücke vom Audiowalk im, am und um den Bahnhof Langendreer.
Eindrücke vom Audiowalk im, am und um den Bahnhof Langendreer. © Archiv Bahnhof Langendreer

"Einsteigen bitte"

Hinter dem Audiowalk stecken Miriam Witteborg und Kristin Schwierz vom Team des Bahnhof Langendreer. Ein Gespräch mit den beiden Initiatorinnen:

Wie ist es zu der Idee gekommen, einen Audiowalk zu produzieren und anzubieten?
Kristin Schwierz: Während der Lockdowns haben wir die Zeit für Archivarbeit genutzt: Eine hat das hauseigene Archivmaterial zusammengetragen und geordnet, die andere hat die über 100-jährige Geschichte des Bahnhofs recherchiert und aufbereitet. So kam es zu der ersten Idee. Wir hatten Lust, etwas Zugängliches und Bleibendes daraus zu machen, und wir mögen Audio-Formate, sodass wir uns schnell darauf verständigt haben. Dazu kam, dass wir uns ohnehin etwas für das 35-jährige Bestehen des Bahnhof Langendreer überlegen wollten. Ein Audiowalk bot sich da perfekt an, weil er Corona-konform funktioniert. Für die gesamte Produktion haben wir uns dann noch den erfahrenen Hörfunkjournalisten Christian Kosfeld mit ins Boot geholt.

Worum geht es es thematisch in diesem Audiowalk?
Kristin Schwierz: Wir nennen den Audiowalk auch "Audioreise": Zum einen verbindet sich das so schön mit der früheren Bedeutung dieses Ortes als Ausgangspunkt für Reisen, zum anderen ist er auch ein bisschen wie eine Zeitreise aufgebaut. Man springt mit den Erzählerinnen und Erzählern 100 Jahre zurück oder 50 oder 35 Jahre... Und dann wieder in die 2000er-Jahre und in die Gegenwart. Zu hören gibt es einerseits informative Beiträge zur älteren und jüngeren Bahnhofsgeschichte, zum Beispiel auch dazu, wie es früher hier aussah, und andererseits episodische, hintergründige und auch persönliche Erzählungen. In den vergangenen 35 Jahren Kulturzentrum sind ja auch jede Menge Dinge passiert, von denen die meisten Besucherinnen und Besucher vermutlich gar nichts wissen. In den subjektiven Erinnerungen spiegelt sich auch Zeit- und Stadtteilgeschichte. Allein die Stimmung Mitte der 1980er-Jahre in Bochum: eine komplett andere Zeit! Es gibt also viel zu entdecken auf der Audioreise.

Wer erzählt die einzelnen Geschichten?
Miriam Witteborg: Es gibt ja insgesamt 19 Stationen in, am und um den Bahnhof herum. Die Reisebegleiterinnen und -begleiter sind zum Beispiel (ehemalige) Stadtteilbewohnerinnen und -bewohner sowie Besucherinnen und Besucher unseres Kulturbahnhofs, und zu hören sind hintergründige, informative, erstaunliche, rührende und witzige Geschichten. Auch der frühere Landesminister für Stadtentwicklung, dessen Ministerium durch die Städtebauförderung den Umbau des Bahnhofs in den 1980er-Jahren ermöglicht hat, ist Teil der Reise. Die Mitbegründerin des ersten Frauenabends in Bochum erzählt aus ihren bewegten Erinnerungen ebenso wie Bahnhofs-Mitgründerinnen und -gründer sowie der Macher des Stadtteilmagazins "Dorfpostille". Und nicht zuletzt haben auch Kolleginnen und Kollegen aus dem heutigen Team Beiträge entwickelt - sowohl zur Historie unseres Bahnhofs als auch über die aktuelle soziokulturelle Wirklichkeit und weiteres mehr.

Wie funktioniert das Ganze?
Miriam Witteborg: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Audiowalk zu erleben: Zum einen direkt vor Ort in Bochum-Langendreer mit der kostenlosen App "Digiwalk" fürs Smartphone. Am, im und um das Gebäude herum sind 19 Audio-Stationen (Schilder mit einer Kurzbeschreibung des Beitrags und QR-Codes) angebracht. Hier kann dann ganz einfach die jeweilige Station angesteuert und der Code gescannt werden. Über die App wird dann der jeweilige Beitrag angezeigt samt Fotos und Audiodatei. Und los geht's.

Alternativ kann die Audio-Reise auch von zuhause aus erlebt werden über eine Homepage. Einfach ins Internet gehen und den jeweiligen Beitrag anhören. Zusätzlich gibt es dann auch noch eine wunderbar illustrierte Karte, die einen durch die 19 Stationen führt und Informationen zum Bahnhof Langendreer und zu den Reisebegleiterinnen und -begleitern bietet. Diese liegt bei uns im Bahnhof aus, kann aber auch online eingesehen werden.

Haben Sie eine Lieblingsgeschichte, die auf diesem Spaziergang erzählt wird?
Kristin Schwierz: Das ist wirklich schwierig sich da zu entscheiden! Alle Beiträge sind toll, und wir beide haben sie jetzt schon viele Male angehört, das wird nie langweilig. Bei der Erzählung von Otto Honke, der bei seinen Kindheitserinnerungen in den 1950er-Jahren beginnt, bekomme ich jedes Mal richtig Gänsehaut. Und als ich den Beitrag von Barbara Jessel zur ersten Frauendisko das erste Mal gehört habe, sind mir die Tränen gekommen, so berührt war ich.  Miriam freut sich immer wieder aufs Neue über den Flyertext aus der Zentrumbewegung, den sie im Archiv gefunden hat. Über die eingestreuten Anekdoten in einigen Beiträgen müssen wir beide immer wieder lachen, weil sie so authentisch sind.

Der  Audiowalk im Internet.
Der Bahnhof Langendreer ist ein Standort auf der  Themenroute 29 "Bochum".
Alle bisherigen Interviews unserer Reihe "Gespräche zur Route Industriekultur" finden Sie  auf dieser Seite.